WG-Leben: Der Kühlschrank des Grauens

18. September 2013, 20:04 Uhr

© www.designee.de

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Beim Schreiben für mein neues Programm „DURST – Warten auf Merlot“ fiel mir dieses Fundstück aus meiner WG-Zeit zwischen untergeordneten Unterordnern meiner Festplatte in die Finger: „Der Kühlschrank des Grauens“. Meiner ehemaligen WG zur Erinnerung – und künftigen Wohngemeinschaften zu Mahnung!

Wir wussten alle: Es war Wahnsinn, was sich Jörg vorgenommen hatte. Ich persönlich hatte nicht geglaubt, dass er es wirklich tun würde. Vielleicht wollte ich es auch einfach nicht wahrhaben. Aber wie Jörg an diesem Abend in der Küche stand mit diesem entschlossenen, undurchdringlichen Gesichtsausdruck, dem Putzlumpen in der Linken und den Eimer in der Rechten, da wusste ich es: Dieser Mann macht Ernst. Birgit war den Tränen nahe und zog hektisch mit feucht glänzenden Augen an ihrer Zigarette. „Scheiße, Jörg“, fuhr sie ihn an, „musst du denn immer den Helden spielen?“

Doch unser Mitbewohner war schon in einer anderen Welt. Er drehte uns den Rücken zu und tastete sich wie auf dünnem Eis zu dem beige-gelblich schimmernden Kasten vor, der höhnisch und bösartig zu uns herüber zu grinsen schien. Den Stecker hatte Jörg schon vor Stunden aus der mit Ravioli-Sauce verkrusteten Steckdose gezogen und mittlerweile begann sich langsam, eine schmierige, urinfarbige Pfütze auf dem Vinylboden zu bilden. Wie ein Sumoringer baute Jörg sich vor seinem Gegner auf: dem Kühlschrank.

Mit einem Ruck öffnete er die Tür und wurde sofort hart getroffen von einer dicken grünen Wolke aus Aspergillus-Sporen, die der Rasen aus Schimmelpilzen über den brühig-matschigen, rosaroten Resten eines drei Monate alten griechischen Bauernsalates unaufhörlich in sein Gesicht schoss. Er taumelte zurück und hielt sich die brennenden Augen. „Jörg“, schrie Birgit panisch und wollte ihm zur Hilfe eilen, aber Sanne hielt sie zurück. Kurze Zeit war Jörg wie gelähmt, doch dann begann er, wie ein Wahnsinniger seinem Peiniger heißes Wasser entgegen zu schleudern. Dies war ein Fehler, denn dadurch erwachte die Dose halb eingetrockneter Tomatenheringe zu neuem Leben und startete mit Hilfe eines halben Liters gelierten Orangensaft einen wütenden Großangriff auf Jörgs Riechorgan. Dieser Strom verätzte seine Schleimhäute und ergoss sich aus der Nase und über die Mundwinkel. „Nicht hochziehen!“, rief ich ihm zu. Doch er hörte mich nicht mehr und begann in blinder Wut mit bloßen Händen die verwesenden Überbleibsel einer Pizza Margherita von den Gitterstäben zu kratzen. Dabei verstrickten sich seine Finger im Dickicht vergorener Spaghetti Carbonara. Beim Versuch sich loszureißen, stieß er eine Tüte geronnener Vollmilch um, die sich ätzend über seine Hose entleerte. Laut schrie Jörg vor Schmerzen auf und erbrach sich dann in eine Schüssel mit gestocktem Schokopudding. Doch er wusste, es gab kein Zurück mehr. Fast besinnungslos schaufelte er die Blasen werfende Pampe sauerstofffrei kompostierter Gemüseleichen aus dem Kühlfach, scharf attackiert von den stahlharten Kartoffelsprösslingen, die dicke Striemen auf seiner Haut zurückließen. Bei diesem Vorgang muss er irgendwie den Verwesungsgeruch einer mumifizierten Gelbwurst frei gelegt haben. Denn er zog reflexartig den Kopf zurück, stieß mit dem selbigen gegen einen mit Grillfleisch gefüllten Tuppertopf, der unter dem Druck seiner Faulgase explodierte und eine Ladung fingergroßer, schmieriger Maden gegen seine Brust feuerte. Dann ging auf einmal alles so furchtbar schnell: Vielleicht wollte Jörg nur einen sicheren Stand finden, doch seine Füße fanden auf dem glitschigen Schmelzwasser keinen Halt, er verlor das Gleichgewicht und krachte kopfüber auf das Gittergestell, das polternd unter ihm nachgab. Im Fallen versuchte er noch, sich mit den Zähnen am Isoliergummi fest zu beißen. Doch er rutschte ab, knallte mit seinem Gesicht in eine Schale Rote-Bete-Salat und wurde dann von der nachkommenden Lawine aus Gurken-, Senf- und Einmachgläsern begraben. Im Affekt wollte ich hinzuspringen, doch Sanne stellte sich mir energisch in den Weg. „Aber man muss doch irgendetwas etwas tun können“, schrie Birgit verzweifelt. „Beten!“, meinte Sanne nur dumpf. Doch Jörg war noch nicht am Ende. In einem letztem Aufbäumen richtete er sich mit der ganzen ihm verbliebenen Kraft auf. Doch an diesem Tag schien das Glück nicht auf Jörgs Seite zu sein. Denn er rammte dabei seinen Kopf gegen das Eisfach, welches daraufhin aufsprang und ein Geröll von halbgefrorenem Rosenkohl und zerbröckeltem Fischstäbchen auf seinen Nacken entlud, so dass er bewusstlos zurück in den Rote-Beete-Salat fiel.

Die Ärzte brauchten eine volle Stunde, um Jörgs Rachenhöhle von der Roten Beete zu befreien. Der Labortyp meinte später, in seinem Blut seien mehr Salmonellen gewesen als im Hirschauer Baggersee zur Badesaison. Aber er wird es schaffen. Sicher, den linken Geruchsnerv werden sie ihm wohl rausnehmen müssen. Aber mit Glück hat er vielleicht keine bleibenden Schäden – bis auf eine leichte chronische Übelkeit und eine Allergie auf Wurzelgemüse. Glück gehabt! Doch dieses Bild wie Jörg kopfüber in einem Brei aus Mayonnaise-Matjes-Rosenkohl-Fischstäbchen-Schokopudding-Bauernsalat liegt… Das werde ich nie vergessen. Klar frage ich mich, ob ich etwas hätte tun können. Doch was? Jörg war wie besessen von der Idee den Kühlschrank abzutauen. Was kann man da machen? A man’s got to do what a man’s got to do.

TIPP: KÜHLSCHRANK KORREKT BEFÜLLEN
Schnell verderbliche Kost wie Fisch und Fleisch gehört auf die Glasplatte, weil die am kältesten ist. In den wärmeren Schubfächern darunter kann man Obst und Gemüse lagern. Das oberste Kühlfach ist meist das wärmste, mal abgesehen von der Kühlschranktür – hier finden Cola und Tannenzäpfle-Bier einen Platz.
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Und um meine WG aus früheren Zeiten geht es auch kurz in diesem Beitrag zu meinem aktuellen Buch „Essen kann jeder!“.
Das Radio-Interview führte Rudi Küffner von „Servus Bayern“ im Bayerischen Rundfunk:

Micro_icon ESSEN KANN JEDER! streng verdaulich

1 Kommentar

  1. Alex – 21. September 2013, 09:19 Uhr

    Du unterliegst leider einem Irrtum! Das Tannenzäpfle-Bier gehört zu jenen Lebensmitteln, welche aufgrund des hoheren Durchsatzes und der Dauer der bis zum Verzehr notwendigen Kühl-Intensität stets an der kältesten Stelle des Kühlschranks untergebracht werden müssen. Es soll Verbraucherschutz-Verbände geben, die schon lange den Aufdruck „Lebensmittel vor dem Verzehr durchkühlen“ gesetzlich vorschreiben möchten.
    Auf den oberen Fächern des Kühlschranks kann hingegen allenfalls ein Rothaus Export gelagert werden, falls dessen Verzehr noch in weiter Ferne liegt. Wie es das köstliche Kulturgut Tannenzäpfle-Bier ins Bayrische geschafft hat, ist mir ohnehin ein Rätsel.

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