Ehec – Angriff der Todesgurken

31. Mai 2011, 12:10 Uhr

© designee.de

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Was sind das bloß für Zeiten? Man läuft am Kiosk vorbei, in den Augenwinkeln streift dein Blick die Bildzeitung, ein Wort zuckt auf und fährt wie der Blitz in dein Frontalhirn: TODESGURKEN! Und ich denke: „Todesgurken? Was ist den jetzt schon wieder passiert? Schon wieder so ein ostdeutsches Familiendrama? Ein Vater, der mit gefrorenem Gemüse seine Frau erschlug? Hat sich Reiner Calmund am Buffet an einer Salatgurke verschluckt? Todesgurken… Das klingt wie ein Horrorfilm für Vegetarier:
„Grünkohl des Grauens“,
„Teuflische Tomaten“,
„Zucchini-Zombie-Makssaker“…
Ich stürze zurück zum Kiosk und greife nach der Bild-Zeitung: „Krimi um Ehec-Keime. Todesgurken in Hamburg verladen(…) Infiziertes Gemüse stammt aus Spanien.“

Ach so, Ehec… Das ist diese schwere Magen-Darm-Erkrankung. Interessant, die Paella-Fresser haben uns Montezumas Rache auf den Hals gehetzt. Wahrscheinlich eine Heimzahlung für Mallorca. Jahrelang haben wir ihre Strände mit Pauschal-Touris verpestet, jetzt sagen die: Schicken wir ihnen Killer-Salat, dann können die Jungs vom Ballermann auch mal Zuhause kotzen. Wobei die Spanier drauf bestehen: „Wir sind nicht Schuld! Die Kisten mit den Todesgurken in Hamburg sind nachweislich beim Abladen umgefallen und auf den Boden gelandet. Und da kommt Ehec her.“ Klar, Hamburg ist ein übles Pflaster. Doch ich hab immer geglaubt, wenn man sich da was von der Strasse holt ist es der Tripper. Dabei hat meine Mutter auch immer gesagt: „Dreck reinigt den Magen!“ Anderseits geht das natürlich auch am Schnellsten, wenn man sich erbricht. Und es geht noch weiter:
„Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner rät vom Verzehr von Rohkost ab.“

Das ist doch mal ein Warnhinweis, der vielen Deutschen echt Spaß macht. Schließlich ist es Sommer. Da scheucht der ein oder andere Deutsche am Wochenende einen ganzen Streichelzoo über den Grill. Und jetzt können die Berge von Kadaver auch noch mit ministerialen Segen verzehrt werden. Mein Nachbar sagt: „Jetzt schmeckt ihm die Wurst noch besser. Nach Gammelfleisch und Dioxin-Hühnern wird es Zeit, dass die Grünzeugfresser auch mal ihr Fett weg bekommen. Wie viel Opfer haben wir denn?
„300 Erkrankte und 14 Tote!“

Das ist schon schlimm. Aber an den Salmonellen erkranken jährlich 80.000 Menschen und 120 sterben. Und keiner bricht deshalb in Panik aus, spricht von „Todes-Softeis!“ oder käme gar auf die absurde Idee, seinen Kühlschrank mal wieder abzutauen und zu desinfizieren. Dabei ist dies – laut Untersuchungen – der Ort der größten Keimbelastung im Haushalt. Klar, jeder Urinstein wird von der deutschen Hausfrau bekämpft, als gelte es die Ebola einzudämmen, aber beim Kühlschrank wartet man gerne mal bis die Milch auf eigenen Beinen aus dem Kühlschrank kriecht. Also, im Grunde, wenn Sie wirklich etwas für Ihre Hygiene tun wollen: Einfach in den Kühlschrank kacken und aus der Kloschüssel essen.

Ich finde, das Verhältnis von Bakterien und Deutschen ist sehr ambivalent und schwankt irgendwo zwischen panischer Paranoia und selbstmörderischer Gelassenheit. Wir haben Angst vor Killerbakterien auf Todesgurken. Und wenn wir zum Arzt gehen, um uns untersuchen zu lassen, infizieren wir uns mit multiresistenten Krankenhauskeimen, die wiederum erst durch abnorm hohen Antibiotikaverbrauch entstanden sind. In Deutschland starben letzte Jahr 4500 Menschen allein durch Legionellen. Klar, nicht alle auf einmal.

Und das macht eben auch den Unterschied in unserer Risikowahrnehmung aus: Wenn 10 Menschen zur gleichen Zeit sterben, macht uns das Angst. Wenn 100 über das Jahr den Löffel abgeben, reagieren wir gelassen. Kommt im Radio: „Massenpanik bei Fußballspiel. 200 Tote und Verletzte“. Sagst du: „Wahnsinn, gestern war ich erst im Stadion! Auf diesen Schreck brauch’ ich einen Kaffee!“ Wenn es heißt: „Straßenverkehr: 37.500 Tote und Verletzte im Jahr!“ Sagst du: „Krass, aber den Lahmarsch da vorne überhol’ ich trotzdem!“

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