Haie – Flossen weg von den Flossen!

28. Juni 2011, 07:27 Uhr

Fakavara

Das war mein Urlaub: Polynesien – Tauchen mit Riffhaien! Sie sehen es selbst: Es waren Tausende…! Tausende? Ach was, es waren Hunderte! Was für ein ergreifendes Erlebnis: Einmal der Bestie ins Auge blicken – einmal als Fischfutter im Ozean treiben… Das lehrt den Menschen Demut.

Leider gibt es nicht mehr viele Stellen auf der Erde, wo sich Haie in solcher Anzahl bewundern lassen. Denn auch diesem majestätischen Unterwasserbewohner setzt der Mensch schwer zu: Die Tiere finden nicht mehr ausreichend Futter, weil wir ihren Lebensraum zur Selbstbedienungstheke umgewandelt haben. Ist es nicht komisch, dass wir Menschen Haie als „Meeresräuber“ bezeichnen? Hätten Fische Ohren, fänden sie diese Benennung wahrscheinlich ziemlich unangebracht. Denn der Jäger wird vermehrt selbst zum Gejagten. Wie schon Berti Brecht in der Dreigroschenoper singen ließ: „Und der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht – und der Mensch, der hat ein Schleppnetz, doch das Schleppnetz sieht Hai nicht!“ Dabei eignen sich nur die wenigsten Haiarten als Speisefische! Früher galt dieser Knorpelfisch als lästiger Beifang und wurde sofort wieder ins Meer zurückgeschmissen. Bedauerlicherweise waren da die Tiere meistens schon halbtot. Heute ist das vollkommen anders: Heute schneidet man den Haien erst die Flossen ab und schmeißt sie dann zurück ins Meer. Und danach sind sie natürlich definitiv halbtot!

Es wird geschätzt, dass 80 Millionen Haifische jährlich auf diese Weise ihre Extremitäten verlieren – ihre Flossen sind schlicht und ergreifend ein hoch begehrter Exportartikel. Vor allem die Chinesen brauchen das Zeug besonders dringend für den Tag ihrer Hochzeit: Dann servieren sie ihren Gästen vornehmlich Haifischflossensuppe! Nicht aus kulinarischen Gründen, nein, denn die Suppe selbst ist ein recht fades, schleimiges Gebräu. Dem Brautpaar geht es allein um demonstrierten Luxus. Schließlich kostet ein Kilo Haiflossen 600 Dollar – Tendenz steigend – was den Konsum natürlich noch weiter ankurbelt. Die perverse Logik des Geschäfts: Je seltener die Tiere werden, desto teurer wird die Suppe und desto mehr steigt das Ansehen des Gastgebers. Man kann also sagen, die Haifischflossensuppe ist der Privatjet unter den kulinarischen Perversitäten.

Daraus lernen wir: Über das Prestige eines Nahrungsmittels entscheidet nicht dessen Geschmack, sondern allein dessen Verfügbarkeit. Nehmen wir z.B. mal die Auster her, heute ein fester Bestandteil der gehobenen Küche. Im 18. Jahrhundert aber galt sie in vielen Küstenregionen als Arme-Leute-Essen. Charles Dickens beschreibt in seinem Buch „Die Pickwickier“, wie viele Hungerleidende diese Schalentiere „in regelrechter Verzweiflung“ hinunterwürgten. Wer Geld hatte aß Fleisch. Natürlich, wenn ich mir ein Schnitzel schon leisten kann, stiefele ich doch nicht durchs Watt und pule Schalentiere aus dem Schlick… Oder nehmen wir den Lachs: Heute ein begehrter Speisefisch. Doch in Schottland gab es früher so oft Lachs zu futtern, dass die Hausangestellten eines Tages rebellierten und vom Parlament eine monatliche Obergrenze verlangten. Stellen Sie sich nur mal vor, bei uns läuft die Gewerkschaft Verdi durch die Strassen und fordert eine Reduzierung des Hummer-Essens in deutschen Betriebskantinen!

Der Hummer wurde übrigens früher wie der Lachs an die Armen verkauft. Heute zahlen Gourmets Unsummen für eine Portion. Und das aus einem einfachen Grund: Es gibt ihn kaum noch. Schade eigentlich, denn ein Hummer wird bis zu 80 Jahre alt. Darüber sollten Sie mal nachdenken, wenn Sie wieder so ein Teil fressen. Dieses Tier könnte immerhin Ihr Großvater sein!

Ein Umstand bereitet mir wirklich Sorgen… Neulich habe ich wieder in der Zeitung gelesen: „Geburtenrückgang – der Deutsche stirbt aus!“ Da dachte ich: Mein Gott, brüllt das doch nicht so raus! Wenn das die Chinesen mitbekommen! Wenn die merken, dass wir Deutsche auch eine bedrohte Art sind, dann liegen bald schon die ersten Freizeitsportler mit abgetrennten Ärmchen im Stadtpark und anstelle Haifischflossen gibt es auf chinesischen Hochzeiten dann Teutonengriffel… Doch bevor mich die Chinesen in ihre fettigen Finger bekommen, verfüttere ich mich lieber an die Haie in Polynesien. Denn so mache ich mich wenigstens ein bisschen nützlich.

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