Maigrüße

4. Mai 2012, 14:57 Uhr

Tübinger Wurstküche

Eine Wurst wird durch Tübingen gejagt

Ich liebe den 1. Mai. Tag der Arbeit! Der Tag an dem wir den Vorkämpfern der Arbeiterbewegung gedenken. Der Tag, an dem wir demütig unsere Häupter neigen vor Ferdinand Lassalle, August Bebel und den vielen Werktätigen, die ihr Leben ließen für Achtstundentag, 5-Tage-Woche, Arbeitsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Doch ein Wehrmutstropfen bleibt: Der Tag der Arbeit ist der einzige Tag im Jahr an dem ich schon um acht Uhr früh aufstehen muss.

Denn ich bin Kabarettist. Ein Geschöpf der Nacht. Normalerweise stehe ich um diese unchristliche Uhrzeit nur auf, wenn ich pinkeln muss. Doch leider komme ich einmal jährlich am 1. Mai nicht drum rum. Denn was macht der Deutsche, wenn er einen Tag der Besinnung begehen soll? Eben jenes, das er auch tut, wenn er an Pfingsten die Entsendung des Heiligen Geistes oder an Fronleichnam die leibliche Gegenwart Jesu Christi im Sakrament der Eucharistie preisen will. Richtig: Er geht grillen. Und da sich an diesem Tag ganz Deutschland um die wenigen öffentlichen Feuerstellen prügelt, müssen meine Freunde und ich sehr früh los, damit wir rechtzeitig mit unseren Würsten die Grills besetzten.

Sei es drum. Ich freue mich auf’s Grillen! Das heißt: Offenes Feuer, lodernde Glut, zischender Bratensaft, rauchendes Fett sowie dampfende Steaks, außen verkohlt und innen roh, in die man gierig seine Zähne schlagen kann… Einfach wieder Mensch sein. Die Fesseln der Zivilisation abstreifen. Den Neandertaler in sich spüren. Herrlich! Mein Fleisch habe ich bereits erlegt. Vier grobe Bio-Lamm-Bratwürste von einem regionalen Demeter-Bauernhof. Die Schafe bekamen kein Kraftfutter, sondern nur Gras, dafür viel ergotherapeutischen Auslauf gegen Stallroutine und psychologische Betreuung bis zu zwei Stunden nach der Schlachtung. Ich gebe gerne meinen wilden, animalischen Trieben nach. Doch sehe ich absolut keinen Anlass darin, die Gebote der political oder ecological correctness zu verraten. Nun fehlt mir noch das Futter für meine Freundin. Doch sie isst kein Fleisch. Und hier stehe ich nun: Ein Mann. In mir schlummert das genetische Material eines prähistorischen Jägers. Das Schicksal hat mir die Aufgabe zugeteilt, geduckt und lautlos durch das hohe Savannengras zu schleichen und Springböcken den Speer ins pochende Herz stoßen. Stattdessen suche ich nun für meine Lebenspartnerin die Supermarktregale nach Tofu-Bouletten ab.

Es ist unglaublich: Soja-Bolognese, Soja-Wienerle, Soja-Gulasch, Soja-Geschnetzeltes, Soja-Gyros, Soja-Burger… Ich glaube, Leute die fleischlose Gerichte entwickeln sind alles, aber keine Vegetarier. Klar, wenn die armen Schweine schon kein Fleisch essen dürfen, dann soll der Fraß wenigstens so aussehen wie ein Schnitzel. Warum imitiert vegetarisches Essen so oft Fleischgerichte? Man konvertiert doch auch nicht zum jüdischen Glaube und nennt dann sein Kind Adolf. Und dann alles in Soja! Die meisten Vegetarier, die ich kenne, essen gar kein Soja. Zu Recht! Ich finde viele dieser Produkte wirklich grenzwertig. Gerade Tofu ist für mich ein reines Propagandamaterial der fleischverarbeitenden Industrie. Nur erfunden, um jedes Klischee vom Vegetarier als völlig lust- und sinnenfeindlichen Menschen zu erfüllen. Wenn ich das Zeug nur rieche fängt mein Magen böse an zu knurren: „Sag mal, willst du mich verarschen?“ Mir wird diese Soja-Schmiere sofort über. Beim ersten Biss denkt ich noch, naja, kann man doch essen, aber beim zweiten Biss weiß ich, beim dritten Biss muss ich mich übergeben.

Zurück zum Supermarkt: Ich gehe mal rüber zur Kühltheke, vielleicht haben Sie ja Halloumi im Angebot? Den kann man gut grillen. Halloumi, oder auch Halumi, ist ein halbfester Käse, der bei uns meistens aus Kuhmilch hergestellt wird – gegrillt ist er schön lecker-knusprig. Der Käse behält beim Rösten seine gummiartige Konsistenz und macht beim Essen Geräusche als würde man ein Quietscheentchen zerkauen. Verdammt, Halloumi ist ausverkauft! Ich möchte meine „hohe Frouwe“ unbedingt minniglich verwöhnen. Als Entschädigung für letztes Jahr. Da gab es an unserem Lagerplatz nur eine Feuerstelle ohne Grill. Noch heute blutet mir das Herz, wenn ich daran denken, wie mein armes Mädchen vor Hunger zitternd versuchte, ihren Fetakäse auf eine selbst geschnitzte Haselnussrute zu spießen und über dem offenen Feuer zu grillen.

Ja, ein Vegetarier hat es heute echt schwer. Als würde man vom lieben Gott für den Versuch diesen Planeten zu retten bestraft werden. Ursprünglich wollten wir ja beide – also meine Freundin und ich – auf Fleisch verzichten. Auch wenn ich in diesem Beitrag nicht weiter darauf eingehen will, gibt es dafür nun mal heutzutage einige sehr gute Gründe. Und ich habe es auch versucht. Aber nach 6 Wochen konnte ich an gar nichts anderes mehr denken als an totes Tier. Nachts träumte ich von Blutwürsten auf winzigen Füßchen, die von mir mit Messern und Gabeln durch die Tübinger Innenstadt gejagt werden. Ich war auf Entzug, mein Körper schrie nach tierischem Protein. Ich habe mich sogar dabei ertappt, wie ich bei einem verirrten Reh auf der Straße unwillkürlich auf das Gaspedal getreten bin. Rauchen ist so leicht aufzugeben. Das habe ich im letzten Jahr fünfmal geschafft. Warum komme ich dann von den Bouletten nicht runter? Nach einem ganzen fleischfreien Jahr hatte ich schließlich derart an Gewicht verloren, dass meine Freundin drohte, ich solle mir sofort ein Stück Wurst kaufen, oder sie schlachte persönlich ein Schwein in der Badewanne.

Denn das Problem war: Statt nur auf Fleisch zu verzichten, habe ich oft gar nichts mehr gegessen. Auch das liegt an meinem Beruf. Wenn man seine Nahrung selbst zubereiten kann, ist das mit der Fleischlosigkeit natürlich kein Problem, auch ohne Tofu… Doch als Kabarettist bin ich sieben Tage die Woche unterwegs- Und manchmal noch öfters. Bedeutet, ich bin bei meiner Ernährung auf die Gastronomie angewiesen. Und fahren Sie mal durch die deutsche Provinz und sagen in einer bürgerlichen Wirtsstube, dass Sie kein Fleisch essen. Da schaut der Ober Sie an als hätten Sie einen Sprengstoffgürtel unterm Kaftan. Und die Speisezettel lesen sich wie glühende Manifeste für die Tilgung jeglichen tierischen Lebens von dieser Erde. Erst neulich war ich in einem rheinischen Gasthof, die hatten eine Speisekarte so dick wie eine mittelalterliche Bibel. Aber alle, wirklich alle Gerichte bestanden nur aus einer Rekombination der Elemente: Schnitzel – Rumpsteak – Hühnerbrustfilet. Kroketten – Pommes – Spätzle. Pfeffersoße – Jägersoße – Rahmsoße. Also:
Schnitzel mit Pommes und Jägersoße.
Schnitzel mit Kroketten und Jägersoße.
Schnitzel mit Spätzle und Jägersoße.
Rumpsteak mit Pommes und Rahmsoße.
Rumpsteak mit Kroketten und Pfeffersoße.
Hühnerbrustfilet mit Nudeln und Jägersoße, usw.

Als ich den Ober gefragt habe, ob es auch was Vegetarisches gebe, dachte er kurz nach und begann dann seelenruhig seine Aufzählung:
Pommes mit Pfeffersoße.
Kroketten mit Jägersoße.
Spätzle mit Rahmsoße.
Kroketten mit Rahmsoße.
Kroketten mit Pommes und mit Jäger- und/ oder Pfeffersoße…

Manchmal lässt sich noch nicht einmal ein Salat finden, der nicht unter Bergen von toten Puten-Kadavern begraben wurde. Keine Kartoffelsuppe ohne Speck, kein Schaumsüppchen ohne Räucherlachs… Es sollte einen Preis geben für die unsinnigste Verwendung von Fleisch in einem fleischlosen Gericht. An diesem Punkt muss ich hier einmal harsche Kritik an der deutschen Gastronomie üben: Denn wenn es um vegetarisches Essen geht, sind manche Köche an Einfallslosigkeit und Ignoranz kaum zu übertreffen. Davon auch nicht ausgenommen sind die besseren Restaurants. Erst vor kurzem bekam meine Freundin bei einem Fünf-Gänge-Gelage, während wir anderen Gäste uns mit Flusskrebs-Tartare an Kresse-Schaum schadlos hielten, als Vorspeise einen Beilagensalat hingeknallt. Und zwar so liebevoll zubereitet wie es jeder Billig-Balkanese im Frankfurter Bahnhofsviertel hinbekommen hätte. An alle Köche da draußen: „Vegetarier hassen ihr Essen nicht!“ Es gibt deshalb keinen Grund ihnen labbriges Gemüse mit einer Mehlschwitze als ernsthafte Alternative für Rehrücken im Blätterteigmantel zu verkaufen! Und auch der stumpfste Küchenbulle schafft es aus Jakobsmuscheln, Lammnüsschen und Gänsestopfleber ein Menu zu zaubern, das irre auf dicke Hose macht. Worin besteht eigentlich die Kunst ein Rinderfilet zu braten? Seit Jamie Oliver & Co hantiert doch jeder Hobby-Bocuse mit Niedrigtemperaturmethode und Bratenthermometer. An den vegetarischen Gerichten aber erkennt man die wahre Meisterklasse: Neulich hat ein junger Küchenmeister im Landgasthof Zeidlmaier in Rohrbach meiner Freundin eine Art Lasagne aus gerösteten Brotscheiben, Spinat und kleinen, aber hocharomatischen Tomaten kredenzt. Es war einfach und doch raffiniert. Das nenne ich kochen!

Doch ich will keinem anderen die Schuld geben: Ich bin ein schwacher Mensch. Hier und da erliege ich der Fleischeslust. Im Gegensatz zu meiner Freundin, die es schließlich geschafft hat und jetzt clean ist. Aber Frauen sind auch einfach das stärkere Geschlecht: Gestählt gegen Schmerz und Entbehrungen, denken sie allein an die Strapazen der Schwangerschaft. Wenn wir Männer durch so was müssten… Unvorstellbar, neun Monate kein Alkohol, die Menschheit wäre schon längst ausgestorben! Aber das bringt mich hier auch nicht weiter.

Also, an alle Gourmets da draußen: Wenn irgendjemand von meinen Lesern ein leckeres, vegetarisches, originelles Grillgericht auf Lager hat, raus damit! Ich freue mich über Kommentare!

Linktipp: Einen Besuch wert ist der Landgasthof Zeidlmaier in Rohrbach a.d. Ilm

Wurstküche Tübingen:

8 Kommentare

  1. Andi – 6. Mai 2012, 20:31 Uhr

    Verdammt, ich muss viel öfter 3Sat schauen, oder eben andere Sender auf denen so gute Kabarettisten gezeigt werden.
    Ich liebe diese Art von Humor. Es erinnert etwas an Nuhr, aber dann gepaart mit dem Wissen um Lebensmittel. Eine herrliche Kombination :)

    Ich denke, ich werde hier Leser werden, so wie es meine Zeit halt eben zu lässt.

  2. Mirko – 14. Mai 2012, 12:58 Uhr

    Wie wär’s mit roter Paprika, gefüllt mit Käse (gibt’s ja auch ohne Kalbslab) und einer guten Priese Kräuter der Provence. Das Ganze in Alufolie gewickelt auf den Grill betten (vielleicht nicht direkt über der heißesten Stelle) und wenn es schmurgelt servieren … ansonsten hab ich während meiner fleischlosen Zeit noch unschuldige Champignons, bedauernswerte Zwiebelviertel, ahnungslose Zucchini-Würfel und (wieder rote) Paprika mit einem Schaschlik-Spieß gepfählt und sie ihrem Grillrost-Martyrium überlasssen. Letzteres empfiehlt allerdings den Gebrauch des wahnsinnig unmännlichen GRILLSCHÄLCHENS, aber man(n) kann nicht alles haben.

  3. Thomas – 18. Mai 2012, 20:14 Uhr

    Ich kann dir das kleine Buch „Vegetarisch grillen“ von Jutta Grimm empfehlen. Da findest du eine Menge cooler Rezepte und auch abwechslungsreich und gleichzeitig fast tofufrei.
    Hier der Link dazu:

    http://www.pala-verlag.de/cms/website.php?id=/index/buecher/9783895663017.htm

  4. Fred – 13. Juli 2012, 00:26 Uhr

    1 kg frische Gnocchi mit 500 g (vozugsweise frischem) Blattspinat, 350 g geviertelten Cherrytomaten und 100 g gewürfeltem Feta in einer gefetteten Auflaufform verteilen.
    Einen Becher Sahne im Messbecher mit einem Ei und südländischen Kräutern (Thymian, Oregano, Basilikum, Rosmarin), sowie Gewürzen nach Vorliebe, vermengen.
    Das ganze dann über dem Inhalt der Auflaufform verteilen und die ganze Sache mit weiteren 100 g gewürfeltem Feta bestreuen.
    In den Ofen bei 170 °C und nach ca. 40 – 60 Minuten herausholen, ganz nach Bräunungsvorliebe und Eigenarten des Ofens.
    Die ganze Sache sollte für 4 Personen mit ordentlichem Hunger reichen. Bon appétit und Glückauf beim weiteren fleischarm essen! :-)

  5. Alba – 13. Juli 2012, 13:20 Uhr

    Zucchini und Auberginen in Scheiben, längs oder quer, mariniert in Öl und Gewürzen, bei nicht zu großer Hitze gegrillt. Oder der klassische Feta, nicht auf Haselnusszweige aufgespießt, sondern mit Paprika, Zwiebeln und Gewürzen in Alufolie (ja, ich weiß, nicht umweltfreundlich) gegrillt.

  6. Melanie – 14. Juli 2012, 19:05 Uhr

    Wow, toller Blog! Deine Anmerkungen zu vegetarischer Kost in der Öffentlichkeit entsprechen genau meiner Wahrnehmung. Aber als kleiner Lichtblick:
    Gestern gabs schon auf einem umsonst&draußen Festival einen rein vegetarischen Stand, wirklich lecker!
    Falls du und deine Freundin mal keine Zeit haben für die Einkaufstour vorm Grillen: Beim K+K gibt’s seit kurzem (zumindest bei uns) fertige Gemüsespieße, leckere frische Pilze, Zucchini und Tomaten mit Frischkäse gefüllt! Oder testet mal den Grillkäse vom Eismann, der quietscht nur leider nicht so witzig. :)

  7. Farfalla – 20. Januar 2013, 00:01 Uhr

    Also ich spieße immer etwas Aubergine auf meine Grillgemüsespieße. Zusammen mit Grillkäse, das bringt unglaublich viel Geschmack rein, find ich, allerdings kann man die Auberginenstückchen nur mit Schale aufspießen, ansonsten fallen sie gerne mal runter.
    Getrocknete Tomaten sind auch der totale Renner, aber Vorsicht vor zuviel Salz, die Dinger sind gerne mal stark natriumchloridbelastet.
    Frische Tomaten sind eine saudumme Idee, das hab ich am eigenen Leib spüren müssen. Die Dinger werden sauheiß und besprühen dich beim essen am ganzen Leib mit kochend heißem Tomatensaft.

  8. Claudia – 20. Januar 2013, 20:40 Uhr

    Also ich habe mir neulich dieses Kochbuch gekauft: http://www.gu.de/buecher/kochbuecher/vegane-vegetarische-kueche/18902-vegetarisch!-das-goldene-von-gu/

    (Nein, ich arbeite nicht bei Gräfe und Unzer). Da sind allerdings auch ein paar Tofu-Rezepte drin, aber auch sehr viele andere spannende und auch schnelle Gerichte für den Alltag. Hab das bei einer Arbeitskollegin gesehen und mir lief bei sehr vielen Rezepten das Wasser im Munde zusammen :).

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